„Der Verein der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe“

 

Es ist nur folgerichtig, dass es in der sehr breiten Vereinslandschaft zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Adorf neben einem Theaterverein, dem „Verein für Geflügel- und Kaninchenzucht Adorf i.V. und Umgebung“ auch ein „Verein der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe“ entstand. In der Blütezeit der Perlmutterwarenindustrie sollen dort immerhin über 1.000 Menschen inklusive Heimarbeiter beschäftigt gewesen sein. Dieser Verein ist im Gegensatz zum Schützenverein oder einigen Sportvereinen etwas in Vergessenheit geraten. Ob es gelingt, einige Fakten dazu wieder an das Tageslicht zu holen?

Am 12. März 1898 wurde die nachfolgende Satzung des Vereins beim Stadtrat zu Adorf eingereicht.

 

Satzungen des Vereins

der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe

 

§ 1

Der Verein der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe verfolgt den Zweck,

 

1. in öffentlichen Versammlungen gewerbliche Fragen zu erörtern,

2. die Geselligkeit durch Vergnügungen unter den Mitgliedern zu pflegen,

3. die Mitglieder bei Sterbefällen durch einen Sterbebeitrag zu unterstützen und

4. bei dem Begräbnisse eines Mitgliedes, die Träger unentgeltlich zu stellen.

 

Mit Politik und Religion darf sich der Verein nicht befassen.

 

§ 2

Das Tragen der Leiche wird – der Reihe nach – von 16 Mitgliedern besorgt. Sollte ein Mitglied am vorgenannten verhindert sein, so hat es entweder einen Stellvertreter zu stellen oder 50 Pf. in die Kasse zu zahlen, damit ein anderer gestellt werden kann.

 

§ 3

Aufnahme finden nur diejenigen, die sich eines guten Rufes erfreuen, in dieser Branche beschäftigt sind und das 18. Lebensjahr überschritten haben. Auch können die Frauen der Mitglieder, sowie Witwen, welche ebenfalls in dieser Branche beschäftigt sind, aufgenommen werden.

Die Anmeldung kann schriftlich oder mündlich beim Vorstande erfolgen.

 

§ 4

Die Aufnahme erfolgt durch Abstimmung, wobei die Mehrzahl entscheidet.

 

§ 5

Das Eintrittsgeld ist auf 1 M, der Mitgliedsbeitrag auf 2,40 M pro Jahr, festgesetzt worden.

Das Eintrittsgeld der Frauen und Witwen beträgt 0,50 M, während sich der Vereinsbeitrag mit dem obengenannten gleichstellt.

Das Eintrittsgeld, sowie der Mitgliedsbeitrag fließt zur einen Hälfte in die Vereinskasse, zur anderen Hälfte in die Sterbekasse.

 

§ 6

Tritt ein Mitglied im Laufe des Vereinsjahres ein, so hat es die verflossenen Monate nachzuzahlen.

 

§ 7

Der freiwillige Austritt aus dem Verein ist jedem Mitgliede unbenommen. Die Austrittserklärung ist aber vorher entweder schriftlich oder mündlich bei dem Vorstande anzubringen.

 

Der Ausschluss aus dem Verein kann bei denjenigen erfolgen, die

     mit den Steuern länger als 3 Monate im Rückstande bleiben,

     sich ungehörige Handlungen zu Schulden kommen lassen, oder bestrebt sind, den Verein in irgendwelcher Weise zu schädigen.

 

§ 8

Der Vorstand besteht aus:

 

·      dem Vorsitzenden

·      dem Schriftführer, und

·      dem Kassierer

·      mit je einem Stellvertreter und dem Kassierer der Sterbekasse.

 

§ 9

Versammlung findet jeden Monat, Generalversammlung am Jahresabschluss statt. Beide werden 8 Tage vorher im Grenzboten bekannt gemacht.

 

§ 10

Die Kassierer sind verpflichtet in der Generalversammlung dem Vorstande und den Mitgliedern Rechnung abzulegen.

 

§ 11

Sollte ein Mitglied durch längere Krankheit am Fortzahlen der Beiträge verhindert sein, so ist die Versammlung ermächtigt, dieselben auf Ansuchen bis zur Genesung zu gestunden. Tritt jedoch Todesfall ein, so werden die rückständigen Beiträge bei Auszahlung des Sterbebeitrages in Anrechnung gebracht.

 

§ 12

Jedes ausscheidende Mitglied verliert den Anteil am Vereinsvermögen.

 

§ 13

Zum Militär eingezogenen Mitgliedern werden nach Wiedereintritt die Mitgliedsjahre vor der Dienstzeit bei Berechnung des Sterbebeitrages in Anrechnung gebracht.

 

§ 14

Der Sterbebeitrag wird nach der Dauer der Mitgliedszeit berechnet und beginnt nach Ablauf des ersten Vereinsjahres. Der Mindestbetrag ist 25 M, erhöht sich aber jährlich um 5 M bis zum Höchstbetrag von 100 M.

 

Julius Zenker Vorstand

Josef Kropp Kassierer

Louis Petzold Stellvertreter

Robert Adler Schriftführer

Robert Lederer Stellvertreter

Wilhelm Millowitz Kassierer der Sterbekasse

 

Durch Auswertung der Adorfer Adressbücher habe ich versucht, eine unverbindliche Zuordnung zu Beruf und Anschrift der Vorstandsmitglieder herzustellen.

 

Julius Zenker Vorstand                           1896 Gürtler, Mittelstraße

Josef Kropp Kassierer                             1904 Muschelarbeiter, Elsterstr. 23

Louis Petzold Stellvertreter                   1925 Zuschneider, Oelsnitzer Str. 31

Robert Adler Schriftführer                     1913 Muschelarbeiter, Hauptstr. 9   

                                                                    (Moritz Robert Adler?)

Robert Lederer Stellvertreter                     -

Wilhelm Millowitz Kassierer                 1896 Gürtler, Graben

der Sterbekasse

 

Über ein Vereinslokal für die monatlichen Versammlungen oder die Mitgliederzahl wird weder im Statut noch in den vorgefundenen Unterlagen etwas erwähnt.

 

Wo werden die Versammlungen und Geselligkeiten des Vereins stattgefunden haben? Wie stark war der Verein und welchen Beitrag leistete er für die Stadt Adorf und deren Perlmutterwarenindustrie? Wirft man einen Blick auf nachfolgende Anzeigen aus dem Adorfer Grenzboten kann man zum Schluss kommen, dass das Vereinslokal der Perlmutterwarenarbeiter die Garküche von Herrn Kohle war.

 

Adorfer Grenzbote 1898-02-01

Adorfer Grenzbote 1898-03-27

Adorfer Grenzbote 1900-07-17

 

Ob der „Verein der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe“ in der Frage von Arbeitskämpfen laut Satzung eine Unterstützung war ist ungeklärt. Auf der einen Seite ist in seiner Satzung als Vereinszweck u. a. festgelegt, dass er in öffentlichen Versammlungen gewerbliche Fragen erörtert. An anderer Stelle wird explizit formuliert, dass sich der Verein nicht mit Politik und Religion befassen darf. So stellt sich die Frage, ob Lohnforderungen und Arbeitsbedingungen gewerbliche oder politische Fragen sind?

Aus den wenigen Quellen zum Streikgeschehen der Perlmutterwarenarbeiter in den Jahren 1911-1922 geht hervor, dass diese vom „Deutschen Holzarbeiterverband“ in Tariffragen unterstützt wurden. Der "Verein der Perlmutterwarenarbeiter und verwandter Gewerbe" wird dort nicht erwähnt.

 

Existiert in dem einen oder anderem Familienarchiv eventuell noch das eine oder andere Foto von Vereinsaktivitäten oder ein Mitgliedsausweis?

 

Herr Dietz vom Perlmutter- und Heimatmuseum würde sich über die eine oder andere ergänzende Information zu diesem Verein  freuen. Waren es doch die Mitglieder dieses Vereins, die mit ihrer Hände Arbeit einen sehr großen Anteil an der über Jahrzehnte dauernden erfolgreichen Geschichte dieses Gewerbes bzw. Industriezweiges hatten.

 

Klaus-Peter Hörr

Juli 2025